Auf den Spuren von Dr. Jekyll & Mr. Hyde – ASV dreht Partie in Birkach
Leistungsschwankungen sind im Jugendfußball, insbesondere in der untersten Altersklasse, ja durchaus nichts Ungewöhnliches. Das ASV-Team zeichnet sich dabei schon seit der Winterpause durch besonders ausgeprägte Amplituden in der Formkurve aus, und das gerne auch innerhalb einer Partie. Wer die Jungs durch die Hallensaison begleitet oder in den Vorbereitungsspielen beobachtet hat, wird wissen, was gemeint ist. Während sie in der vorangegangenen Meisterschaftspartie gegen Bonlanden „nur“ in der Anfangsphase durchhingen, um sich dann kontinuierlich auf Normalform zu steigern, reizten sie die Performance-Skala im Nachholspiel beim TSV Birkach komplett aus. Obwohl in der Vorbereitung auf die Begegnung intensiv darüber gesprochen wurde, das Spiel vom Anpfiff weg ernsthaft und konzentriert anzugehen, erinnerte der Auftritt der Botnanger in der ersten Halbzeit eher an Gehversuche auf Kunstrasen als an ein Spitzenteam der Leistungsstaffel. Die Werte für Ballkontrolle und Passgenauigkeit waren statistisch infinitesimal, Zweikämpfe wurden nach Möglichkeit gemieden und im Notfall alibihalber geführt. Mit Ausnahme von Kevin und der Defensivreihe um Tim und Nick, die zumindest für defensive Stabilität sorgten, blieben die ASV-Kicker weit unter ihren Möglichkeiten. Natürlich sind auch mildernde Umstände anzuführen: So hatte der Unparteiische viele – wenn auch nicht spielentscheidende – Entscheidungen exklusiv, ließ aber gleichzeitig wenig bis keine Neigung erkennen, darüber mit den Spielern zu diskutieren. Die permanenten Lamenti über zweifelhafte Schiedsrichterentscheidungen waren jedoch nicht geeignet, die Konzentration der Botnanger auf das Spielgeschehen zu erhöhen. Zudem hatten die Jungs den Nachteil, in der ersten Hälfte gegen die tiefstehende Abendsonne zu spielen zu müssen (die nach dem Seitenwechsel dann hinterm Horizont verschwunden war). Das Timing vor allem bei hohen Bällen wurde dadurch objektiv schon deutlich erschwert. Einige Spieler hatten darüber hinaus erhebliche Standschwierigkeiten auf dem kurzflorigen und harten Geläuf. Und zu guter Letzt waren in Halbzeit eins mehrere Wechsel angeschlagener Spieler (Rami, Emanuel, Pascal) notwendig, wobei das Team während der Behandlungen der Blessuren phasenweise auch in Unterzahl agieren musste. Aber selbst wenn man diese widrigen Umstände berücksichtigt, lässt sich das untertourige Auftreten nicht wirklich schlüssig erklären.
Dem Gegner war’s natürlich recht. Er brannte zwar auch kein spielerisches Feuerwerk ab, war aber in vielen Situationen handlungsschneller und durchsetzungsfähiger. Eingangs eher defensiv eingestellt, spielte er angesichts der Passivität und wachsenden Verunsicherung der Gäste mit zunehmender Spieldauer mutiger nach vorn. Da den Birkacher Kickern am Strafraum meist die spielerischen Mittel ausgingen, versuchten sie es aus der Distanz und waren damit schon beim zweiten Versuch nach etwa 20 Minuten erfolgreich. Die klarste Gelegenheit der ersten Halbzeit verzeichnete dennoch der ASV: Nach starker Vorarbeit von Noé, der sich dynamisch auf links durchsetzte und dann scharf nach innen legte, scheiterte Ardil freistehend aus kurzer Distanz am aufmerksamen Birkacher Keeper. Das war allerdings auch die einzige nennenswerte Offensivaktion der Schwarz-Weißen in einer denkwürdigen ersten Hälfte.
In der Pause war der Trainer, selbst ziemlich ratlos in Anbetracht der kollektiv dargebotenen Magerkost seines Teams, vorrangig als Therapeut gefragt. Er ließ seine Spieler erst einmal Dampf und Frust ablassen, wovon sie denn auch regen Gebrauch machten. Nachdem der Kropf dann geleert und der Puls wieder auf unter 180 gefallen war, gab er den Spielern nur noch zwei Empfehlungen mit in die zweite Hälfte: Die Mahnung, die unnötigen, weil aussichtslosen Diskussionen mit dem Schiri zu vermeiden und die bahnbrechende Erkenntnis, dass Fußballspiele erfahrungsgemäß mit Fußballspielen gewonnen werden, also ganz im Geiste der vormaligen kaiserlichen Lichtgestalt des deutschen Fußballs: „Geht’s raus und spielt Fußball!“
Und tatsächlich schien es gefruchtet zu haben. In der zweiten Hälfte traten die ASV-Kicker wie verwandelt auf, waren plötzlich zweikampfstark, ballsicher und lauffreudig. Beflügelt durch den schnellen Ausgleich durch Noé nach sehenswerter Vorarbeit vom sehr engagierten und spielstarken Giacomo kamen sie richtig ins Rollen, ließen Ball und Gegner laufen und waren bis zum Abpfiff beeindruckend dominant. Auch Körpersprache, Kommunikation und Teamgeist waren nun völlig anders: Nach jeder Aktion, ob gelungen oder nicht, pushten sie sich gegenseitig auf, präsentierten sich als Mannschaft im besten Sinne und demonstrierten auch damit sich und dem Gegner, wer nun Herr im Haus war. Hinten ließen Nick und Tim gar nichts mehr anbrennen, und nach vorne waren sie gegen einen nun deutlich beeindruckten und überforderten Gegner, dem auch sichtlich die Beine schwer wurden, brandgefährlich, vor allem über Noés linken Flügel. Phasenweise gelangen ihnen One-Touch-Passagen (Rami, Giacomo, Ardil), mit denen sie die gegnerische Abwehr komplett auseinanderspielten. Nun trat allerdings ein anderes, altbekanntes Problem zu Tage: der Torabschluss. Beste Einschusschancen konnten sie nicht verwerten, u.a. setzte Ardil einen Kopfball unbedrängt aus 2 Meter vor dem leeren Tor an die Latte. Obwohl ihnen die Zeit davonlief und Birkach angesichts des permanenten Drucks verständlicherweise schon früh jede Gelegenheit nutzte, das Spiel zu verschleppen, blieben sie geduldig, behielten ihre spielerische Linie bei und wurden in der 55. Minute dafür belohnt: Emanuel setzte sich im Aufbau fein gegen zwei Birkacher durch und spielte dann den tödlichen Pass in die Schnittstelle auf den startenden Noé, der die Kugel von halblinks flach und platziert ins lange Eck drosch. Nach Tims Traumpass machte Noé nur zwei Zeigerumdrehungen später den Deckel drauf und seinen Hattrick zum hochverdienten 3:1-Endstand perfekt. Ob er nach Spielschluss das Spielgerät unterm Trikot aus dem Stadion schmuggelte, ist nicht überliefert. Der Rest war Erleichterung und pure Freude.
Was bleibt ist die Erkenntnis, dass die Mannschaft eine Wundertüte bleibt. Hoch veranlagt und dennoch mitunter unterirdisch unterwegs. Diese rätselhafte Gratwanderung zwischen Genie und Lethargie ist schwer zu entschlüsseln. Klar ist jedoch auch, dass es im anstehenden Derby beim (Tabellen-) Nachbarn MTV mehr als nur eine gute Halbzeit brauchen wird, um erfolgreich zu punkten und sich im oberen Tabellendrittel festzusetzen. Man darf gespannt sein, was die Jungs diesmal aus der Tüte zaubern.
Für den ASV kickten (Tore):
Kevin (TS), Luis, Tim, Emanuel, Nick, Pascal, Rami, Noé (3), Ardil, Giacomo