Wie aus einem Guss: ASV brilliert im Hallschlag
Niederlagen können schmerzhaft sein. Sie können das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten erschüttern und die Motivation beeinträchtigen. Sie können den Teamgeist belasten und der Moral der Mannschaft einen Dämpfer verpassen. Sie können Abwärtsspiralen in Gang setzen und eine sportliche Krise auslösen. Oder sie können eine Chance sein, indem sie den Blick schärfen für das Wesentliche. Sie können ein Team zusammenschweißen und eine Trotzreaktion hervorrufen. Sie können eine Mannschaft auf ihrem Weg stärken und die Leistungsbereitschaft erhöhen. Viel hängt davon ab, wie ein Team mit der Niederlage umgeht und welche Schlüsse jeder einzelne Spieler daraus zieht. Das Gastspiel beim starken Aufsteiger und Tabellennachbarn FC Stuttgart-Cannstatt I sollte Aufschluss darüber geben, welche Wirkung die bittere Schlappe vom letzten Wochenende beim ASV ausgelöst hatte. So viel sei schon verraten: Die Mannschaft hat die Chance entschlossen beim Schopf ergriffen und den Charaktertest bestanden. Und das in sehr eindrucksvoller Weise.
Dabei war der FC war alles andere als ein Aufbaugegner. Schließlich war der aktuelle Tabellendritte der Leistungsstaffel 1 bis zur denkbar knappen Niederlage im Nachholspiel gegen den Staffelprimus SGM MES/Steinhaldenfeld unter der Woche noch ungeschlagen und hatte bis dahin durchaus noch selbst berechtigte Ambitionen auf Meisterschaft und Aufstieg. Aufwarten konnte der Aufsteiger mit der stabilsten Defensive der Staffel, darüber hinaus überzeugte er im Saisonverlauf sowohl mit fußballerischer Qualität als auch mit großer Kampfkraft und Laufbereitschaft. Insofern stellten sich die Botnanger auf einen denkbar unbequemen Gegner und ein eng umkämpftes Match ein.
Zunächst stand aber Schiedsrichterurgestein Thomas Richter im Mittelpunkt: Angesichts der sich von Süden bedrohlich nähernden Gewitterfront schickte er beide Teams kurz vor dem geplanten Spielbeginn in die Kabinen – um sie nur wenige Minuten später wieder auf den Platz zu bitten, nachdem er untrügliche Anzeichen dafür erkannt zu haben glaubte, dass die Zelle nach Westen abziehen würde. Er lag mit dieser meteorologischen Einschätzung ebenso richtig wie später mit den sportlichen. Mit all seiner Erfahrung leitete er eine weitgehend faire Begegnung gewohnt aufmerksam und ließ sich weder von Interventionen aus dem Cannstatter Betreuerstab noch vom zweifelhaften Luftdruck des Spielgeräts aus der Ruhe bringen.
Der Matchplan des ASV ging von Beginn an auf. Es gelang, das Kurpassspiel der Gastgeber zu unterbinden, man setzte sie bereits früh im Spielaufbau unter Druck, hielt das Zentrum konsequent dicht und zwang sie damit zu langen Bällen, einem Stilmittel, das ihnen nicht behagte. Denn diese waren immer sichere Beute der Botnanger Innenverteidigung. Im Ballbesitz ging es beim ASV dann über wenige Stationen schnell über die Flügel, was die für die Spielgestaltung wichtigsten Spieler der Gastgeber permanent in die Defensivarbeit band. Mit zunehmender Spieldauer wuchs die Botnanger Überlegenheit und das Spiel verlagerte sich weitgehend in die Cannstatter Spielhälfte. Beim Führungstreffer halfen die Gastgeber dann allerdings maßgeblich mit. Nach einer Serie Eckbällen, die von Ari raffiniert vors Tor gezogen wurden und jedes Mal für erheblichen Alarm vor dem Kasten sorgten, war es bei einem erneuten Versuch von Ari ein Abwehrfuß, der den scharf getretenen Ball ins eigene Netz spitzelte (16‘). In der Folge spielten sich die Botnanger einige gute Möglichkeiten heraus, aber erst kurz vor dem Halbzeitpfiff gelang der längst überfällige zweite Treffer. Und der fiel genau nach dem vorgesehenen taktischen Konzept: Ballgewinn, schnelles Umschaltspiel, Ausschwärmen in die Breite und dann der öffnende Diagonalpass von Ari auf den abwehrtechnisch verwaisten Flügel, wo Alex den Ball technisch sauber aufnahm und überlegt in lange Eck abschloss (30‘). Bis zur Halbzeit verzeichnete der FC keinen Torschuss, lediglich ein aus dem Halbfeld getretener Freistoß, der über Freund und Feind hinwegsegelte, erzeugte einen Hauch von Gefahr für den vom ansonsten beschäftigungslosen Kevin gehüteten Botnanger Kasten.
Im zweiten Durchgang suchte der Gastgeber – da gegen konsequent verschiebende Botnanger weder auf den Außenbahnen noch durchs Zentrum ein Durchkommen war – sein Heil in frühen Flanken aus dem Halbfeld in den Strafraum, um den zur Halbzeit eingewechselten 26-Tore-Stürmer in Szene zu setzen. Dieser war bei Tim S. jedoch komplett abgemeldet und hatte nach Wahrnehmung des Chronisten nicht einen Ballkontakt. Der ASV hingegen zog weiter sein variables Kombinationsspiel auf und offenbarte in dieser Phase die einzige Schwäche an diesem Tag: Eine erbarmungswürdige Chancenverwertung! Nacheinander versemmelten Ilyasse (der in seinem ersten Pflichtspiel für den ASV offensiv wie defensiv einen ganz starken Eindruck hinterließ und mit Ari glänzend harmonierte) Alex, Ari und Dijon klarste Gelegenheiten. Letztlich war es erneut ein Eckball von Ari, den Ilyasse in Gemeinschaftsproduktion mit Dijon über die Linie drückte (52‘). Chefcoach Günter, der an diesem Wochenende nicht auf der Trainerbank sitzen konnte, darf seine Saisonziele nun als vollständig erfüllt betrachten: Seine Forderung nach einem verwandelten Eckball wurde am vorletzten Spieltag endlich erfüllt. Kurz darauf startete Timo von der Mittellinie zu einem unwiderstehlichen Dribbling, konnte von vier Gegnern nicht vom Ball getrennt werden, fand in Ari an der Strafraumkante einen genialen Doppelpasspartner und vollstreckte unhaltbar zum 4:0 ins lange Eck (54‘). Prädikat: Sehenswert! Damit war der Deckel drauf und dem Gastgeber der Stecker endgültig gezogen; der ASV ließ nun mit großer Selbstverständlichkeit Ball und Gegner laufen und berauschte sich an seiner eigenen Spielfreude. Was alles geht, wenn es mal läuft, veranschaulicht folgende Szene: Einen Befreiungsschlag der Cannstatter nahm Tim S. lehrbuchmäßig mit der Brust herunter, ließ den Ball einmal auftropfen und jagte das Spielgerät dann aus fast 40 m Torentfernung per Vollspann auf das Gehäuse, die Latte rettete für den bereits geschlagenen Torhüter und verhinderte damit das Tordebüt des Defensivspezialisten. Während Keeper Leon genauso unbehelligt blieb wie Kevin im ersten Durchgang, ließen es seine Vorderleute gegen nun überfordert und lustlos wirkende Gastgeber noch mehrmals klingeln. Nach feinen Kombinationen, bei denen vor allem Tim Z. und Ari in der Kreativzentrale ihre Mitspieler mit präzisen Zuspielen in Szene setzten, schraubten Alex (64‘) und Paul (66‘) das Ergebnis höher, ehe Tim Z. im zweiten Anlauf seine starke Leistung mit dem Treffer zum Endstand von 0:7 krönte (69‘).
Für die Spieler und Trainer, aber auch für die mitgereisten ASV-Fans war das eine Partie zum Einrahmen und an die Wand hängen. Über die gesamte Spielzeit hinweg gelang es jedem einzelnen ASV-Kicker, sein Leistungsvermögen abzurufen. Aber mehr noch überzeugte die mannschaftliche Geschlossenheit, die das Team auf dem Platz demonstrierte. Sinnbildlich dafür stand die Unterstützung, die Paul in der Anfangsphase von seinen Mitspielern erhielt. Mit seinem quirligen Gegenspieler hatte er zu Beginn durchaus einige Schwierigkeiten, doch waren prompt Dijon, Tim Z. und Kristian zur Unterstützung an seiner Seite, so dass er im Verlauf seinen Kontrahenten verlässlich in den Griff bekam und mit seiner Dynamik und Physis entscheidende Impulse für das Offensivspiel seines Teams setzen konnte. Die zahlreichen Eckbälle, von denen zwei zu Toren führten, waren alle durch Pauls Vorstöße herausgearbeitet worden. Bei einem Schützenfest stehen zwangsläufig die Offensivaktionen im Blickpunkt, Grundlage für den klaren Erfolg war jedoch die konsequente Defensivarbeit des Teams, bei der sich niemand ausnahm. Selbst Ilyasse als Sturmspitze half bei Bedarf am eigenen Strafraum aus. Das Rückgrat bildete die kompromisslos agierende Innenverteidigung, die noch in der Vorwoche einen gebrauchten Tag erwischt hatte. Kristian und Tim S. lieferten eine tadellose Leistung ab, meldeten die Offensivabteilung des FC komplett ab und hielten der Abteilung Sturm und Drang damit den Rücken frei. Ganz stark auch die Abstimmung zwischen den beiden: Während Tim häufig zum richtigen Zeitpunkt herausrückte und gefühlt jeden ersten Ball in der Luft oder am Boden klärte, sicherte Kristian gekonnt ab. Gegen einen durchaus hoch einzuschätzenden Gegner genau null Torschüsse in 70 Minuten zuzulassen und zudem mit klaren Aktionen das Spiel zu eröffnen, ist ein formidables Arbeitszeugnis für die beiden.
Falls es noch Belege für die Dominanz des ASV bedarf, so mögen zwei Aspekte noch herangezogen werden: Trotz 7 Gegentore war der Cannstatter Keeper der auffälligste Spieler seines Teams, und die einzige Schwäche, die sich die Botnanger erlaubten, war der verschwenderische Umgang mit klarsten Torchancen. Wenn man diese allerdings in solch hoher Anzahl generiert, kann man sich das auch mal leisten.
Mit dem Sieg hat sich die Mannschaft bereits vor dem Saisonfinale den 2. Platz in der Abschlusstabelle gesichert, wird am Ende die beste Auswärtsbilanz aller Staffelteilnehmer aufweisen und erhält sich die Chance auf den Platz an der Sonne bis zum letzten Spieltag. Gleichzeitig war der Auftritt aber auch ein klares Statement des Teams nach innen („Wir sind ein Team!“) und nach außen („Schreibt uns nie ab!“), das man vermutlich auch an der Spechtshalde vernommen haben wird.
Vor dem letzten Spieltag bangen in der Staffel noch 4 Mannschaften um den Klassenerhalt. Mit in der Verlosung ist auch der TSV Weilimdorf, der im Saisonfinale beim Tabellenführer SGM MES/Steinhaldenfeld noch jeden Punkt gegen den Abstieg benötigt. Der ASV hat zum Saisonausklang den SSV Zuffenhausen zu Gast, der als einziger Absteiger aus der Leistungsstaffel 1 bereits feststeht. Für die Neuzugänge Paul und Tim Z. wird das Wiedersehen mit den alten Kameraden sicherlich ein Spiel der besonderen Art. Nach Lage der Dinge ist aber davon auszugehen, dass die ASV-Kicker bereit sein werden, alles für einen erfolgreichen Saisonabschluss zu geben und damit den Druck auf den aktuellen Spitzenreiter hoch zu halten. Man hat es zwar nicht mehr in der eigenen Hand, will aber unbedingt seine Hausaufgaben erledigt haben, falls es doch unerwartete Kunde aus Steinhaldenfeld geben sollte.
Für den ASV kickten (Tore):
Kevin (TS), Leon (TS), Yassir B., Tim S., Kristian, Paul (1), Timo (1), Tim Z. (1), Alex (2), Ari, Dijon, Ilyasse (1), Hadi, Antonio